Glück ist

ca. 2014

 

 

 

Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, wie man einen Text über Glück schreibt? Gar nicht so einfach und nur eine Sache war mir klar, der Anfang sollte ehrlich und frontal sein. Also dann mal los.

Christian ist mein Name. Ich bin 34 Jahre alt, depressiv und lerne gerade etwas, was ich seit langer Zeit verlernt habe – glücklich sein.

Als Kind war ich es noch. Ich wuchs in der Eifel auf und war unglaublich sorglos. Ma und Pa hatten ja mein vollstes Vertrauen und alles war unbeschwert – meine größte Sorge war, dass ich nicht genug Maoam bekommen könnte.

 

Wie kommt man von dort zu dem Punkt, dass einem das eigene Leben nicht mehr passt? Es kann nicht schwer gewesen sein, denn dort stand ich nun. Das Leben klebte an mir wie nasse Anziehsachen. Schwer und scheinbar zu groß. Mein Leben und ich waren einer Meinung – wir wollen keine Zeit mehr miteinander verbringen. Wirklich nicht. Beim besten Willen war mir nicht klar, was nicht stimmte. Ich hatte doch Freunde. Einen Job. Familie. Das mussten doch die Zutaten sein, mit denen man glücklich ist. Oder? Naja, aber augenscheinlich irgendwie auch nicht.

 

Genau in dieser Zeit lernte ich einen Menschen kennen und lieben, der ebenfalls etwas angedötscht war. Wir beide waren angedötscht. Oder doch eher nur anders? Ich glaube das passt besser – denn anders ist immerhin eine Variante von richtig.

In dieser Zeit dachte ich sehr viel über Glück nach, denn ich wünschte mir nichts sehnlicher. Aber jeder Gedanke und jeder Ansatz zerrann mir wie Sand zwischen den Fingern. Es war wie beim Kochen. Alle Zutaten lagen vor mir und doch konnte ich daraus kein Essen kochen, was mir annähernd schmeckte. Die Schuld dafür suchte ich natürlich bei allem und jedem, denn das ist so viel einfacher, als sich selbst kritisch zu betrachten und Schwächen zu bekämpfen. Irgendwann verstand ich dann ein simples Prinzip – suche nicht nach dem großen Glück, sondern nach Momenten und Sachen, die dich für den Augenblick glücklich machen.

Am Anfang meiner Suche fand ich nicht viel, aber das Wenige reichte vollkommen aus – Fotografie und Schreiben. Mit der Fotografie fand ich eine ganz gute Möglichkeit mich auszudrücken, meine Sicht auf diese Welt mitzuteilen. Seit dieser Zeit ist meine innig geliebte, analoge Ricoh mein fast ständiger Begleiter und wir fangen zusammen meine Welt ein. Die Streifzüge und der ganze Akt des Fotografierens machen mich zufrieden, das Klicken des Auslösers und das Geräusch des Filmtransporthebels lassen mein Herz hüpfen. Man betrachtet plötzlich so vieles anders und selbst vermeintlich Vertrautes gibt völlig neue Facetten preis.

Die Idee zu schreiben, die erforderte mehr Mut. Anfangs schrieb ich meine Gedanken auf, das war ein Teil meiner Therapie. Aber irgendwie reichte mir das nicht. Ich wollte etwas anderes machen. Etwas, was ein klein wenig öffentlicher war. Ich wollte meine Gedanken teilen. Als ich dann entdeckte, dass meine Freundin einen inaktiven Blog hatte, da traute ich mich zu fragen. Ich bekam skeptische Blicke ab, aber kurz darauf erweckten wir unseren Blog zum Leben. Ein Kerl und ein Café-Blog – das warf Fragen auf. Dabei war es doch so simpel. Ich gab ihm die nötigen Worte und meine Freundin die passenden Fotos und das Layout. Zusammen waren wir gut.

 

So fand ich Sachen, die mich glücklich machten, aber so eine Depression fordert eben auch ihren Tribut. Vieles blieb auf der Strecke und irgendwann wurde mir klar, dass sich mein Leben ändern musste. Ich suchte mir einen neuen Job, denn der alte verlangte zu viel Zeit und Kraft. Es war schwer etwas Neues anzufangen, aber es hat sich gelohnt. Meine Arbeit erfüllt nun ihren eigentlichen Zweck. Mit einem vernünftigen zeitlichen und körperlichen Einsatz ermöglicht sie es mir gut zu leben. Denn das hatte ich aus den Augen verloren – ich sollte arbeiten um besser zu leben und nicht leben um zu arbeiten. Ich brach mit alten Angewohnheiten und sortierte mein gesamtes Leben neu. Alles, was mir nicht gut tat, musste weg. Da dies Menschen, wie Angewohnheiten, wie auch Materielles betraf, war dies eine sehr unangenehme Aufgabe.

Für mein Umfeld war es jedoch noch eine viel größere Aufgabe. Denn ich tat so vieles, was verwirrend erschien. So vieles, was Kopfschütteln verursachte. Zu Recht machte man sich Sorgen und so manch eine Freundschaft wurde überstrapaziert. Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, wie schlimm dies alles gewesen sein muss. Vor allem für mein direktes Umfeld, besonders für meine Freundin. Wie sollte das auch jemand verstehen? Ich zog los, um mich selbst zu bekämpfen und um mich meinen übelsten Angewohnheiten, Eigenschaften und Problemen zu stellen. Und je weiter ich kämpfte, umso schlimmer wurde mein Verhalten. Mir ist es bis zu diesem Augenblick immer noch ein Rätsel, warum so viele Menschen zu mir gehalten haben. Aber ich möchte es eigentlich auch nicht wissen. Ich bin einfach nur froh darüber.

 

Um all dies zu schaffen, um die Kraft aufzubringen, brauchte ich Energie. Und wieder war es meine Freundin, die mir einen Weg aufzeigte. Entschleunigung.

Meine Freizeit wurde um wichtige Punkte erweitert. Bewusstes Entschleunigen und Kurztrips. Gerade letzteres war für mich eine Herausforderung, denn ich neige dazu, Sachen tot zu planen. Ich konnte weder Ungewissheit ertragen, noch war es mir möglich, einfach loszulassen und mich treiben zu lassen. Und mit Städten konnte ich erst recht nichts anfangen, denn ich liebte doch die Natur. Tja, manchmal schätzt man sich eben falsch ein. Mittlerweile liebe ich es, fremde Städte zu erkunden. Die meiste Zeit habe ich dabei keine Ahnung was passieren wird, denn ich habe gelernt loszulassen und vertraue meiner persönlichen Reiseführerin blind.

Und zum Thema Entschleunigung –  ich habe ein Faible für Cafés entwickelt und verbringe dort gerne meine Zeit. Glücklicherweise passt dies auch sehr gut, denn fotografieren und schreiben lässt sich dort echt gut.

 

Mittlerweile habe ich viel geschafft. Mein Leben ist anders geworden. Ich kämpfe immer noch jeden Tag mit mir und arbeite hart an meinen Problemen. Ich blicke zurück auf eine Schneise der emotionalen Verwüstung und frage mich, was noch zu retten ist?

Eines habe ich jedoch mit Sicherheit festgestellt – es musste genau dieser Weg sein! Ich musste so weit kommen, dass ich mein Leben nicht mehr haben wollte. Ich musste aussortieren. Ich musste kämpfen. Ich musste verletzen. Ich musste verstehen lernen.

Nach gut einem Jahr Depression und Absturz sitze ich nun hier und bin schlauer. Es war hart, das eigene Leben zu resetten, aber es war notwendig. Und noch eins ist notwendig, nämlich mich zu bedanken. Dabei möchte ich auf Namen verzichten, die jeweiligen Personen werden wissen, dass sie gemeint sind. Ich habe in diesem Jahr erfahren, was wahre Freundschaft bedeutet – dafür danke ich meinen langjährigen Freunden. Ich durfte zauberhafte, neue Menschen kennenlernen und neue Freundschaften entstanden und bahnen sich gerade an. Ihr seid tolle Menschen und genau richtig. Meine Familie gab mir allen Freiraum, der nötig war, und sie behielten ihre Sorgen für sich. Damit habt Ihr mir den Weg so viel erträglicher gemacht. Am meisten hat aber wohl meine Freundin unter mir gelitten. Ich war so oft ungerecht zu Dir, habe Dich nicht immer gut behandelt. Und doch steht eines außer Frage, nämlich meine Liebe zu Dir. Ohne Dich hätte ich vieles nicht geschafft und hätte eines nie verstanden: Die Wahrheit ist, jeder Mensch wird dich irgendwann verletzen – es ist nur wichtig, den einen Menschen zu finden, der es wert ist, das entstehende Leid zu ertragen und ihn zu lieben, wie er eben ist.

 

Mittlerweile weiß ich, was Glück bedeutet, und teile dies gerne mit euch:

 

Für mich bedeutet Glück, gerne zu leben und mich jeden Tag aufs Neue dafür zu entscheiden, meinen Kampf zu kämpfen. Ich finde so viele glückliche Momente in meinem Leben, die reichen mittlerweile für zwei. Und wenn ich doch mal einen schlechten Tag habe, oder ich an allem zweifele, dann betrachte ich, was ich hier bei mir habe. Meine kleine Familie – Blutsverwandte und meine Wahlfamilie. Ihr seid Teil meines Glücks und ohne Euch wäre mein Leben nicht das, was es mittlerweile ist – lebenswert und glücklich.