MUEdigkeit

06.08.2019

 

Not everyone will understand your journey. That’s ok. 

You’re here to live your life, not to make everybody understand. 

 

Banksy 

 

 

 

Ich bin müde. Des Lebens müde. Meines Lebens müde. 

 

Ich bin müde von der ganzen Anstrengung. Der Anstrengung, die dieses Leben mit sich bringt. 

Ich bin müde davon, ein verantwortungsbewusstes Leben zu führen. Es zumindest zu versuchen. 

Ich bin müde davon, dass sich alles nur um Geld dreht. Dessen Anwesenheit. Dessen Abwesenheit. Dessen Wert. Des Wertes, den man mir zuspricht. Basierend darauf, welche Menge dessen ich mein eigen nenne. 

Ich bin müde davon, dass mein Beruf mich definiert. In den Augen der Anderen. 

Ich bin müde davon, dass ich versuche sportlicher zu werden. 

Ich bin einfach so unendlich müde. 

 

 

 

Nun liege ich hier. Auf meinem Balkon. 

In einem Bett aus Selbstmitleid. Mit einer Decke aus purer Wut. 

Wut auf das Leben. 

Wut auf mich. 

 

Bequem ist dieses Bett. Als wäre es extra für mich angefertigt. Nahezu so, als wäre hier die Gravitation um drei Stufen höher. Mit leichtem Druck presst sich mein Ich darauf. Möchte nicht mehr aufstehen. 

Und diese Wut. Sie umspielt mich. Hüllt mich ein. Ist nicht zu kurz. Nicht zu lang. Einfach perfekt. 

Ich wälze mich voller Genuss in dieser Symbiose. 

Selbstmitleid. Wut. 

 

 

Mittlerweile fällt es mir schwer. Der Alltag. Die Fassade. Der Job. 

Dieses ständige aufrecht erhalten. Dieses verdammte Pflichtgefühl. 

Alles, um es vermeintlich leichter zu haben. Um nicht anzuecken. 

Dabei möchte ich das gerade am liebsten. Anecken.

 

Ich möchte dieser verlogenen Welt ins Gesicht spucken und deren Ekel sehen, wenn sie mich dabei anschaut. 

Sie soll mir in mein wütendes Antlitz schauen. Sie soll erkennen, wieviel Wut hinter diesem  scheinbar gleichgültigen Gesichtsausdruck steckt. 

Sie soll erkennen! Sie soll verstehen! 

Wie falsch sie doch liegt. Diese, unsere Welt. 

 

Ich bin es so leid. So unsagbar leid. 

 

Alles dreht sich nur noch darum, die möglichst beste und perfekteste Variante seines Selbst zu sein. Optimiert bis zum Ultimo. 

Bis man perfekt hineinpasst. In die perverse Uniformität der heutigen Gesellschaft. 

 

Makel werden nicht geduldet. Werden bestmöglich kaschiert. 

Erfolg um jeden Preis schlägt die Empathie. 

Dabei schürt Erfolg gleichzeitig Neid. 

Mein Wert wird nicht mehr anhand meiner selbst gemessen - mein Wert wird definiert durch eine Zahl. Auf einem Stück Papier. Auf einem Konto. 

 

Freundlichkeit und Ehrlichkeit werden zumindest noch geschätzt. Daraus lässt sich nämlich wunderbar ein Dolch formen. Den rammt man dem Gegenüber in seine Eingeweide. Des eigenen Vorteils wegen. 

 

 

Der eigene Vorteil. 

Die bestmögliche Selbstdarstellung. 

Das liebe Geld. 

Die heilige Dreifaltigkeit dieser kranken Gesellschaft. 

 

 

Warum nicht? Warum sollte ich nicht meines Lebens müde sein? Jeden einzelnen Tag sehe ich diese Welt. Diese Menschen. Offline. Online. 

 

Ich sehe Menschen denen nahezu jeglicher Menschlichkeit abhanden gekommen ist. Deren einziges Gedankengut nur noch dem eigenen Vorteil gilt. Neidend jedem gegenüber, der mehr besitzt. Erfolgreicher ist. Mehr Ansehen genießt. 

Ich sehe Menschen, die lügen. Betrügen. Sich selber. Andere. 

Ich sehe Menschen, die ihren Vorteil aus dem Leid anderer ziehen. 

 

Ich sehe Menschen, deren größtes Bemühen der eigenen Darstellung gilt. Menschen die sich online nahezu prostituieren, um Reichweite und Ansehen zu erhaschen. 

Wohlwissend darum, welch menschliches Wrack sie doch sind. Tief in sich. Ein solches Wrack, dass Aussehen, Erscheinungsbild und Konsum dem angepasst werden, was die Breite Masse vermeintlich sehen möchte. 

Klicks und Follower messen den Wert dessen, was wertlos ist und doch so wertvoll erscheint. Generieren ein Selbstbildnis und einen Selbstwert der möglichst übersteigert sein sollte. Weil. Ja, weil. 

Weil man sonst viel zu schnell merken würde, welch unsicheres Geschöpf man doch ist. Weil man sonst seine Probleme angehen müsste. Realistisch reflektieren müsste. 

 

 

Das liebe Geld. Quell so vielen Übels. Einer meiner Lieblingskünstler hat dem Thema vor gut 20 Jahren einen tollen Vers gewidmet:

 

Ich wurde geboren in Frankfurt am Main

in der Deutschen Zentralbank als Hundert Mark Schein

Der Vater heisst Krieg, ein Betrüger ein Lügner, ein Dieb

Die Mutter ist die Gier die täglich über uns siegt

Die Kinder Zinsen auf internationalen Banken die seit

sie denken konnten nur kühle kalte Konten kannten

meine Opfer sind Menschen so wie du

ich geb' euch die Illusion von Macht und ihr gebt Ruh

so viele denken ich gehör ihnen doch sie gehören

alle mir - schau nur wie sie mir dienen

ich kontrollier ihre Ziele und Träume, ihr Verhalten

und Verlangen bis sie mich zu vergöttern anfangen

bringe Paare zusammen reiss Familien entzwei

und hört man von Streit sei sicher ich war dabei

ich nahm Gott den Glauben und hab den Teufel getauft

und auch... diese Platte wurde durch mich gekauft. 

 

Torch - Blauer Schein

 

 

Die Chance auf ein würdiges Leben ist direkt an einen Wert gebunden. An eine Zahl. An den Wert dessen, was ich monatlich erzielen kann. 

Die Gier nach mehr und mehr Geld ist so allgegenwärtig, dass wir sie nicht einmal mehr als abnorm empfinden. Wir feiern sie regelrecht. 

Von klein auf bekommen wir den vermeintlich so wichtigen Wert dessen gelehrt, was eigentlich nur eine faire und gerechte Entlohnung für unsere Arbeit sein sollte. Wir bekommen gelehrt, dass wir nichts sind. Ohne Geld. Ohne viel Geld. 

 

Die heilige Dreifaltigkeit. 

Was passiert nun, wenn man nicht an sie glaubt? 

Was passiert, wenn man dem nicht gewachsen ist?

Was passiert, wenn man die Chancen nicht ergreifen konnte? Nicht wollte?

 

Man erfährt Ausgrenzung. 

 

Das uniforme Gebilde dieser Gesellschaft lässt einen sehr deutlich spüren, was man angeblich wert ist. Welchen Stellenwert man hat. 

Makel. Körperliche. Geistige. 

Makel werden als Schwäche ausgelegt. Als widerwärtig. Abnorm. 

Die breite Masse betrachtet diese Menschen häufig mit einem Gesichtsausdruck, als wäre man in einen Haufen Scheisse getreten. 

 

 

Ich bin dieser Art zu leben so müde. Dieser Art von Leben müde.

Bin dessen müde, euch eine Fassade bieten zu müssen. Damit ihr mich nicht ebenso betrachtet. Damit ich eine Chance auf ein möglichst normales Leben habe. 

Ich bin so müde. 

Deswegen liege ich hier. Sammle meine Kräfte. Sammle meine Spucke.

 

Für dein Antlitz, du verkommene Welt!