i am enough

ca. 2015

 

 

 

"Come over, let's have a good time" she yelled to me. 

"I wish I could" I whispered. "But there a demons hiding inside of me". 

"Don't worry" she answered with a smile. "There is a hell inside of me, where your demons can live".

 

 

Hier sitze ich nun. Blutverschmiert und an die Wand gelehnt. Mein Körper ist von zahllosen Wunden gezeichnet und ich finde einfach keine Position, in der ich Ruhe finde. In der es keinen Schmerz gibt. 

 

Mein Körper schaut aus, als ob ein wahnsinniger Künstler versucht hätte, ein perverses Kunstwerk zu erschaffen. Als ob ich seine Leinwand gewesen wäre und sein Pinsel aus wahnwitzig vielen Klingen bestanden hätte. 

 

Seit Jahren bin ich schon seine Leinwand und dementsprechend schaue ich aus. 

Narben. Wunden. In allen Stadien. 

 

Ich hasse diese Narben und Wunden jedoch nicht. Jede von ihnen beweist mir jeden Tag aufs neue eine simple Wahrheit:

 

"Ich bin stärker als du. Egal was du mir bisher angetan hast, ich bin stärker als du. Ich lebe. Egal wie sehr du dich bemühst hast, du hast mich nicht gebrochen. "

 

Dies ist mein Mantra. Ich sage es auf, wann immer die Klingen durch mein Fleisch schneiden. Diese Worte verlassen meinen Mund mal deutlich. Mal geschrien. Mal als gurgeln - versteckt zwischen Blut, Spucke und Tränen. 

 

Um mich zu brechen schreit er mich zusätzlich an. Es kostet mich so unsagbar viel Kraft, seine Worte nicht an mich ran zu lassen. Ich kämpfe, doch durch die frischen Wunden dringen seine Worte als Splitter in mich ein. Sie legen sich in die Wunden und vernarben dort. 

 

Mein Körper ist voll mit diesen Narben. Wenn man genau genug hinschaut, dann kann man die Wörter sogar lesen. 

 

Falsch. Wertlos. Psychopath. Ungenügend. Verlierer. Hässlich. 

 

Es sind so viele mehr, aber diese lassen sich besonders gut lesen. Diese Worte hat er direkt in meinem Sichtfeld platziert. Damit ich verzweifele. Damit ich breche. 

 

 

Fast hätte er es geschafft. Fast hätte er mich überzeugt. Damals. 

 

 

Es hat mich viel Arbeit und Überwindung gekostet. Zu leben. Weiterzuleben. Eines zu verstehen: Ich bin nicht falsch. Ich bin gut. Ich besitze alles, was man braucht. 

 

Damit ich dies niemals vergesse, habe ich es in meine Haut gestochen. 

 

I am enough

 

Ich habe gelernt meine Narben und Wunden zu verbergen. Dies habe ich perfektioniert. Selbst einige meiner Freunde haben sie noch nie gesehen. Meine Familie kennt sie nicht. 

Um dies zu schaffen müsste ich ebenfalls zu einem Künstler werden, einem Illusionisten. 

 

Mein Leben gleicht dem der meisten Menschen und doch ist es so anders. 

Ich bin misstrauisch. Es fällt mir so schwer, an das Gute in den Menschen zu glauben. Ich hinterfrage. Zweifele an. Ich ertrage es nicht, etwas nicht zu verstehen. Ich bin ein Junkie geworden, das Verlangen nach Sicherheit ist meine Droge. Und über all dem liegt schützend eine Fassade. Eine, die mich kompatibel zu diesem Leben macht. 

 

Aber wer möchte schon so leben?! Wer möchte für das gemocht werden, was er andere sehen lässt? Wer möchte ein Sklave seiner Schwächen und Süchte sein?! Wer möchte sich ewig hinter einer Fassade verstecken?

 

Ich möchte es nicht. Ich kann es nicht. So möchte ich mein Leben nicht leben. Es darf keine Illusion sein. Keine permanente Fassade. Und doch biete ich Menschen, die neu in mein Leben treten, exakt das an. Eine Illusion.

 

Es tut mir unsagbar leid, aber die Wahrheit würde euch verscheuchen. Ich schütze damit nicht nur mich, glaubt mir. 

 

 

Vor kurzem traf ich aber einen Menschen, dem ich sie zeigte. Die Wahrheit. Dies geschah nicht ganz freiwillig. Aber es geschah. Ich hatte keine Wahl. 

Es war, als hätte man mir eine Last von den Schultern genommen. Ich könnte zum ersten Mal seit langem aufrecht stehen und frei atmen. 

Selten in meinem Leben hatte ich solche Angst, wie in diesem Augenblick. Die Angst vor der Zurückweisung war so groß. 

Genau dies gab mir dann die benötigte Kraft!

Wenn man solch eine Angst verspürt, dann muss dies ein besonderer Mensch sein. 

 

 

Dieser Moment der Schwäche beschwor allerdings meinen alten Bekannten, den Künstler, herauf. Mit all seiner Wut und Perversion trat er wieder in mein Leben. Er warf mich in diesen Raum hier und begann sein Werk. Wieder einmal. 

 

 

Diesmal war es jedoch ich, der schrie. Mit all meiner Kraft schrie ich auf ihn ein. Mit jeder Sekunde fühlte ich mich dabei kräftiger. 

Er machte mir keine Angst mehr, denn ich hatte etwas unvorstellbares erlebt. Ich hatte erlebt, dass mich jemand für das mag, was ich bin. Trotz meiner Narben. Wunden. Fehler. 

All diese vernarbten Worte lagen klar vor Augen und doch wurde ich als gut befunden. 

 

Diese unglaubliche Kraft. Ein paar Momente später sah ich das Entsetzen in den Augen des Künstlers. 

Er verstand plötzlich, dass all diese Pein mich stark gemacht hatte. Er verstand, dass es eine Kraft gibt, die stärker ist als jeder Hass. Stärker als jedes andere Gefühl. 

 

 

 

Nun sitze ich hier. Mit meinen Wunden. Voller Blut. An die Wand gelehnt. Mit all meinem Schmerz. 

Dieser Kampf hat tiefe Wunden gerissen. Bei mir. Bei ihm. Aber es gibt einen Unterschied zwischen uns beiden - ich lebe weiterhin. 

 

Ich schaue mir meine Wunden an. Viele der alten Narben liegen wieder offen vor mir - ich habe ordentlich was abbekommen. Das wird kein einfacher Weg. Aber ich werde genesen. Die Wunden werden sich verschließen. Narben werden entstehen. 

 

Aber diesmal bin ich es, der Splitter in die Wunden legt. Ich warte so gespannt darauf, dass alles vernarbt. Ich freue mich drauf. Möchte meine Narben betrachten und lesen: Liebenswert. Wertvoll. Genügend. Richtig. Ansehnlich. 

 

Vor Erschöpfung fallen mir fast die Augen zu, aber eines habe ich noch zu erledigen. Ich benetze meine Finger mit seinem Blut und schreibe drei so ungemein wichtige Worte an die Wand:

 

 

I am enough