Schmerz

13.11.2019

 

Die Zutaten:

 

Depression. 

Streit. 

Stift. Papier. 

Ein Taschenmesser. 

Mein Auto. Musik. 

 

 

An diesem Tag sollte die Welt untergehen. Für mich. Für immer. So hatte ich es mir vorgenommen. 

Ein Entschluss, entsprungen dem kranken Kopf seines Trägers. Genährt durch einen Streit und die Erkenntnis, dass kein Glück zu finden war. Nicht dort, wo ich suchte. Nicht dort, wo ich lebte. 

 

Also schrieb ich. Ein Manifest des Wahnsinns und Schmerzes. Ich deponierte es für meine Freundin. Als Anklage an sie und Teile der Welt. 

 

Ich schaltete den Flugmodus meines Handys ein. 

 

Mein Auto fuhr wie von alleine. Fuhr mich weg aus Köln. Fand seinen Weg. 

Die Musik trug mich. Gemeinsam mit ihr fand ich mich eine gute Stunde später an einem See wieder. Tränenverschmiert lag sie vor mir. 

Heimat. 

Ich parkte mein Auto. Sah auf den See. 

Weinte des Schmerzes wegen, den die Gedanken an mein Leben mir verursachten. Weinte, in der Hoffnung, dass die Tränen den Schmerz aus mir heraus führen könnten. 

Ich weinte, als ich es in der Hand hielt. Mein liebstes Taschenmesser. Rot. Scharf. 

 

Hier wollte ich es beenden. Dort, wo es angefangen hatte. Wo ich aufgewachsen war. Weit genug weg von jedem, von dem ich nicht hätte gefunden werden wollen. 

Ich fand es passend. 

Den Blick auf das Wasser. Diese herrliche Stille. 

Ich freundete mich mit dem Gedanken an. Das Ende lag endlich vor mir. 

 

Irgendetwas in mir lies mich den Flugmodus ausschalten. So ein merkwürdiges Gefühl, nicht in Worte zu fassen. 

 

Sofort wurde mir klar, dass meine Freundin das Fabrikat meines Wahnsinns gefunden und gelesen hatte. 

Zig Anrufe in Abwesenheit. Sie. Mein Vater. Freunde. 

Zig Nachrichten. 

Ein eingehender Anruf. Meine Mutter. 

 

Ich nahm den Anruf an. 

Ihre ruhige Stimme durchflutete mich. Eine Welle der Emotion brach über mir. Just in diesem Augenblick. 

Einfache Worte, geformt aus Liebe. Purer Liebe. Bedingungsloser Liebe. 

 

 

 

6 Jahre später…

 

 

 

Ich musste schon lange nicht mehr daran denken. An diesen Tag. Diesen einen Tag. 

Wahrscheinlich musste ich es heute, weil die letzten Wochen die Scheisse aus mir geprügelt haben. 

Emotional. Psychisch. Physisch. 

Die letzten Wochen waren mehr als mir lieb war. Im jeglicher Hinsicht. 

 

Mein Körper formt sich seitdem zu einer unansehnlichen Variante seiner selbst. Geformt durch zu viel und falschem Essen. Ein sicherer Indikator dafür, dass es mir schlecht geht. Meinem Kopf schlecht geht. 

 

Darum musste ich in letzter Zeit wohl wieder daran denken. An diesen Abend und die Zeit danach. 

 

 

 

6 Jahre früher. Kurz danach...

 

 

 

Ich denke, der eigene Verstand ist brilliant. 

Wenn etwas völlig aus dem Ruder läuft. Man vollkommen eskaliert. Wenn man sich in Situationen begibt, die den Verstand überfordern und das ertragen von noch mehr Schmerz unmöglich machen. 

Er merkt es. Er steuert dagegen. 

Der Verstand erschafft sich eine neue Realität. Eine erträglichere. 

Um seinen Schützling vor dem schlimmsten zu bewahren. 

 

Der Wahrheit. 

 

All die Jahre, so dachte ich damals, war ich das Opfer. Die Schuld an so vielem lies sich klar an anderen Menschen fest machen. 

Warum taten die mir das bloß alles an?

Ich beschäftigte mich sehr intensiv mit diesem und anderen Gedanken. So intensiv, dass ich endlich lernte zu reflektieren. 

Situationen. 

Mich selber. 

Dadurch lehrte mein Leben mich eines ganz speziell. Wahrhaftigen Schmerz. 

 

 

Er nahm mich in Besitz und reichte mich von einem Gedanken zum anderen weiter. Lachend und gröhlend penetrierten sie meinen geschundenen Geist und pumpten mich voll mit Wahrheit und Erkenntnis. 

 

Es war einfach zu viel. Viel zu viel. 

 

Wie soll man bloß damit umgehen? 

Das bisherige Leben lief seit Jahren auf Autopilot. Wohl, damit ich meine Hände frei hatte. Um jeden und alles meinen Mittelfinger ins Gesicht zu halten. Während ich der betreffenden Person erklärte, dass sie ein schlechter Mensch sei. Dass sie mich schlecht behandele.

 

All dies plötzlich zu verstehen. 

Es hat mich zerrissen. 

Meinen Geist und mein Innerstes. 

Mir wurde bewusst, dass dieser wahnsinnige Schmerz kanalisiert werden muss. Weil er sonst...

 

 

Heute

 

 

Ich entschied mich für Worte. Unzählige von Ihnen, auf jegliche erdenkliche Art geschrieben, getippt oder zu Papier gebracht. 

Manches nur für mich bestimmt.

Manches für die Öffentlichkeit bestimmt. 

 

Das machte mir vieles leichter. Half mir einiges zu verarbeiten. Half mir, an all dem zu wachsen anstatt zu zerbrechen. Das tut es noch heute, wie man gerade sieht. 

 

Und der restliche Schmerz?

 

Den behalte ich schön bei mir. 

Er ist der Soundtrack meines Lebens geworden. Die meiste Zeit hält er sich dezent im Hintergrund - mehr zu erahnen als zu spüren. Wird er lauter, dann lausche ich ihm aufmerksam. 

 

Er erinnert mich daran, wo ich herkomme. Daran, wohin ich niemals zurück möchte.