Wonderland

04.12.2018

 

 

 

"Sorry, my darling.

All you heard about wonderland was a lie. It isn’t a mystical land with all those cool and smart characters. Wonderland is the place that your mind creates, to deal with all the bad things in your life. In fact, Wonderland is all about pain and hope and suffering. Anxiety is the queen and this fucking white rabbit is made out of pure confusion."

 

 

 

Da war kein weißes Kaninchen, was mir etwas signalisierte. Mich aufforderte ihm zu folgen. Es war keine Neugierde, die mich in einen seinen Bau lockte. 

Der einzige Teil der mit der bekannten Geschichte überstimmte war der mit dem freien Fall. Ein tiefer Fall. Bis hinab in die Abgründe meiner selbst. 

 

Dort unten gab es nichts was mich kleiner oder größer machen konnte. Keine Türen zur Auswahl. Keine bunte Landschaft. Nichts fühlte sich nach Freude an. Nichts nach Hoffnung. Dort unten sah es einfach nur trostlos aus. Dörr. Ausgemergelt. 

Vor mir lagen zwei Wege. Naja. Es waren eher Trampelpfade. Kaum ausgetreten. Bei keinem der beiden hatte ich eine Ahnung, wohin er mich führen würde. 

 

Ich zweifelte an meinem Verstand, bis mir einfiel dass es daran nichts zu zweifeln gab. Man hatte mich doch schon als Geisteskrank diagnostiziert und abgestempelt. Trotzdem, oder gerade deswegen, erkannte ich das nur zu gut bekannte Gefühl der Angst. Irgendwo lauerte etwas. 

 

Ich ging ein paar Schritte den einen Weg entlang. Ich fühlte mich dabei unwohl. 

Ich ging ein paar Schritte den anderen Weg entlang. Mir schlug die Angst ins Gesicht. Mir war klar, was zu tun war.

 

Während meiner Therapie hatte man mir erklärt, dass ich immer der größten Angst folgen sollte. Das sei der vielversprechenste Weg. 

Denn wenn du der größten Angst entgegentrittst, dann kannst du das meiste erreichen. So die Theorie. 

 

Also folgte ich diesem Weg. Durch eine Landschaft, die mir entfernt bekannt vor kam. Trotz der Angst fühlte ich mich gut. Motiviert. Denn ich war ja ziemlich mutig. 

Hätte ich geahnt....

 

Schlussendlich führte mich der eingeschlagene Weg zu einer Hütte. Einer hölzernen. Simpel gebaut. Nicht sehr groß. Nicht einmal sonderlich unheimlich. Ich lief um sie herum und grübelte. Wer hier wohl wohnen mochte? 

Ich schaute durch die Fenster und erkannte nichts. Aber es gab dort diese Türe. Also öffnete ich sie. Ging hinein. Ließ sie ins Schloss fallen. 

 

In weniger als einem Bruchteil einer Sekunde stellte ich zweierlei fest. 

Erstens. Was von außen so unscheinbar aussah, sah in seinem Inneren aus wie ein OP Saal. 

Zweitens. Egal wie sehr ich an der Türe rüttelte, sie ging nicht auf. Keine Klinke. Kein Schloss. Nur eine Waage, mittig angebracht. 

 

Ein OP. 

 

Messer. Werkzeuge. Schalen. Spiegel. Verbandsmaterial. Tische. Eine einsame Spritze. Eine Ampulle. 

Bis auf die grellen Lampen erblickte ich eine fast analoge Welt. Steril und analog. Hier war fast nichts, was Strom benötigte. Nichts. Bis auf....

 

An einer Wand stand ein alten Fernseher. Ein Videorekorder. Eine Kassette. Ein Zettel. Eine Aufforderung diese abzuspielen. Also tat ich wie geheißen. 

 

Was ich dort sah, dass hinterließ mich in Schockstarre. Ich sah mich. Mich selber. Mit einer Nachricht. Für mich. 

 

Was zur Hölle?!

 

Ein passender Gedanke. Denn das, was ich mir dort selber erzählte klang exakt so. Simple Worte. Anweisungen. Tatsachen. Die Hölle. 

Ich erklärte mir dort, dass mein Leben hier enden wird. Auf die eine oder andere Weise. Wie es mir beliebt. Das bisher dagewesene würde hier enden. Ohne jeden Zweifel. Dies würde ich akzeptieren müssen. 

Ich erklärte mir selber einen wahnsinnigen Plan. Einen mit zweierlei Optionen. 

 

Diese erste war simpel. 

Wenn ich nicht tat wie geheißen, dann käme ich hier nie wieder raus. Ich würde für immer hier gefangen sein. In mir selber. In dieser Hütte, die tief in mir zu finden ist. Ich würde Tag für Tag auf das Ende warten müssen. Voller Hoffnung. Dem mächtigsten aller Gefühle. 

Nichts auf dieser Welt ist so mächtig wie Hoffnung. Sie zerstört einen vollends, wenn sie sich nicht erfüllt. Nicht auf einen Schlag. Stück für Stück. Tag für Tag. Bis zum Ende. Sie sorgt dafür, dass man an ihr zu Grunde geht, wenn sie sich als unberechtigt erweist. 

 

Die Türe würde sich für mich nur öffnen, wenn ich die zweite Option wählen würde. 

Diese war verstörend. 

Einem offensichtlich gleichsam kranken wie perversen Geist entsprungen. 

Ich sollte mich zerschneiden. Stück für Stück. Den Wahnsinn. Die Kranken Bereiche. Meines Körpers. Meines Geistes. Ich sollte alles auffindbare aus mir entfernen. 

Dank Spritze und Ampulle bei vollem Bewusstsein. 

Ohne die Gnade eines lindernden Schocks. 

Mit der Gewissheit eines qualvollen Endes, sollte ich nicht den exakten Anweisungen folgen. Sollte ich etwas falsch machen. 

Schicht für Schicht sollte ich mich zerlegen. Lokalisieren. Entfernen. Die Wunde heilen lassen. Die nächste reißen. Den kranken Teil entfernen. Verbinden. Schneiden. Entfernen. Verbinden. Heilen. Bis ich fertig war. 

 

Nur wenn ich alles entfernen würde, dann könnte ich hier wieder raus. Jedes kranke Stück sollte ich in diese Waage werfen. Nur wenn ich wirklich alles entfernen würde, wäre es genug. Genug, damit die Waage die Türe öffnen würde. 

 

Das hier. Exakt das hier. Dies war der Moment in meinem Leben, wo ich die denkbar schwierigste Entscheidung zu treffen hatte. 

Wollte ich einen Pfad voller Schmerz und Wahnsinn wählen, um am Ende - insofern mein Video-Ich recht behielt - diesen Ort verlassen zu können? Um womöglich ein Leben ohne diese enormen Einschränkungen führen zu können?

 

Ich zweifelte. Ich hatte solche Angst. Trotzdem fing ich irgendwann an, denn ich wollte keine Opfer meiner selbst sein. Nicht mehr. Nie mehr. Es sollte enden. 

 

Die ersten Schnitte waren nicht sehr tief und trotzdem von einem Schmerz, der mich fast lähmte. Die entfernten Teile waren klein. Sie brachten die Waage nicht dazu, mich in die Freiheit zu entlassen. 

Ich zögerte lange, bis ich den nächsten Versuch unternahm. So lange, dass die erste Wunde komplett verheilt war. Wochen. Monate. So lange, bis ich schlussendlich einen wichtigen Fakt akzeptierte. 

 

Ich würde erst wieder mein Leben leben können, wenn ich das hier zum Ende brachte. 

 

So fing ich an zu schneiden. Voller Tränen. Wut. Verzweiflung.

 

Irgendwann war es tatsächlich genug. Mein Video-Ich hatte mich nicht belogen. 

Die Türe öffnete sich. Ich sah das erste Mal seit gefühlten Ewigkeiten wieder etwas anderes als mich und mein Innerstes. 

Spürte etwas anderes als den Schmerz. 

Diese trostlose, dörre Einöde. Die, durch die ich marschiert war. Sie sah mittlerweile anders aus. Ein bisschen grüner. Ein bisschen weniger trostlos. So, als würde sich hier etwas verändern. 

 

Also marschierte ich los. Zurück, den Pfad entlang. Ich wollte das Leben sehen. Es erleben. Es fühlen. 

 

Ich wollte euch diese Geschichte schreiben. Über die schlimmste Zeit meines Lebens. Eine Geschichte über Entscheidungen.