life's a plate

30.06.2019

 

 

 

Als ich noch echt jung war, da habe ich Ma gerne beim kochen zugeschaut. 

 

Sie konnte zaubern. Ganz bestimmt sogar! Denn da lag ein ganzer Haufen voller Lebensmittel. So viel Auswahl. Bestimmt so viel, wie ich an Körpergröße aufzubieten hatte. 

Das war faszinierend. Ich glaube, Anfangs habe ich nichts verstanden. Nichts. 

Mir war nicht klar, was das war. Was Ma da tat. Das musste doch Zauberei sein. 

Mit Sicherheit sogar!

Denn ich habe an vielen der Sachen gerochen. Manchmal habe ich sie auch angeleckt. Und da war nichts dabei, was so gerochen hat. So geschmeckt hat. So, wie das was Ma da auf meinen Teller brachte. 

 

Für mich war es klar. Zauber. 

 

Um so älter ich wurde, um so mehr wich der Zauber. Ma hatte es natürlich nicht verlernt. Das Zaubern. 

Es zog nur etwas mehr Realität ein. Ich verstand manches. Verstand durch Beobachten. 

Verstand, dass man die Lebensmittel aktiv verändern konnte. Schälen. Zerquetschen. Kochen. Braten. Würzen. 

 

Wenn ich recht überlege, dann war das ungefähr das „ok, weil ich dich vergöttere…“ Alter. 

Das Alter, in dem man noch nicht ernsthaft zweifelt oder rebelliert. Man weiß durchaus schon, dass es nicht der Favorit wird. Das Essen. Das, was auf den Tisch kommt. Ab und an. Ihr wisst schon, der sehr gesunde Kram. 

Mit meinen Argumenten kam ich damals jedenfalls nicht weiter. Wobei ich die sehr schlüssig fand. Denn wenn Ma fragte, wie gesundes Essen denn schmecken sollte. Ja, dann fand ich meine Argumentationskette schlüssig. Sie war nur zwei Worte lang. 

 

Wie Maoam. 

 

Ja. Im Nachhinein erkenne ich Lücken in der Argumentation. Damals jedoch nicht. Aber...Ja, aber... Ma liebte mich doch. Sie würde mir nichts schlechtes wollen. Sie beschützte mich. Dafür vergötterte ich sie. Dafür und für so vieles. Daher aß ich es auf! Zumindest ein bisschen. 

 

Das Überraschungsessen

 

 

Eine der wohl wichtigsten Lektionen meines Lebens habe ich ernsthaft wegen eines Gerichts gelernt. Ma‘s berüchtigtem Überraschungsessen. 

Wir durften nicht in die Küche, während sie es kochte. Mussten mit den tollen Düften zusammen im Esszimmer ausharren. Mit unserer Neugierde. 

Das Resultat war immer ein Stampf. Kein Pürree. Ein Stampf. 

Die einzig erkennbare Konstante. Dem Essen innewohnend. Die einzige Konstante neben Kartoffeln und Hackfleisch. Gestampft und verrührt. 

Wir haben es geliebt! Oh. Mein. Gott. 

Die wechselnden Zutaten waren die Außenseiter. Das Gemüse. Das, was wir nicht mehr freiwillig essen wollten. Weil wir mittlerweile alt waren. So alt, dass wir Protest leisteten. Protest gegen das Essensdiktat. 

 

Damals fand ich das Essen nur köstlich. Erst viel später wurde es zu einer Metapher. Einer für eine sehr schwierig zu akzeptierende Wahrheit. 

Oft setzt uns das Leben etwas vor, was wir nicht mögen. Etwas, was wir ablehnen. Es ist aber da. Erfüllt zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich sogar einen Zweck. Für uns. Für das Leben. Irgendeinen. 

Man hat aber keine Lust darauf. 

Also muss man es erträglich machen. Sein Leben gestalten. Das Ablehnenswerte so verfeinern und umwandeln, dass man es akzeptiert. Es so integriert, dass es einem nichts mehr negatives kann. Ihm den Schrecken nehmen und akzeptieren. Einen Weg finden, dass es einem nicht die Lust nimmt. Dann nimmt man es anders wahr. Es zerstört nicht mehr den Geschmack. 

 

 

Ehrgeiz

 

 

Irgendwann wählte ich in der Schule den Hauswirtschaftsunterricht. Ja, so alt bin ich schon. Sowas wurde damals unterrichtet. 

Man erklärte und die „Basics“. Nudeln. Kartoffeln. Vorbereiten. Kochen. Den sicheren Umgang mit Messern. Fett. Hitze. All den potenziellen Risiken. 

Im Grunde erlernten wir von Allem ein bisschen, aber nichts richtig. 

Trotzdem war ich stolz. Stolz, dass ich nun ab und an für Ma kochen konnte. 

Sie war tapfer und aß es. 

 

Ich schrieb die besten Rezepte damals in ein Buch. Der Gefahr des Vergessens wegen. Zur Prophylaxe. Es wuchs. Langsam, aber stetig. 

Irgendwann war ich dann alt genug. Auszuziehen. Von Zuhause. 

Ma erklärte mir noch einiges. Rezepte. Gab mir Weisheiten mit auf den Weg. 

Ihre Rezepte. Dafür war ich sehr dankbar. Ja. 

Dann zog ich in die weite Welt. Naja. Nach Bonn. Anderthalb Stunden Zugfahrt. Für mich war es die weite Welt. 

 

 

 

20 Jahre später

 

 

Eine Ewigkeit aus Nichts und Allem. 

Eine Ewigkeit in der Kochen eine feste Konstante geworden ist. Für mich. In meinem Leben. Ich wurde besser. Geübter. Ich lernte. 

Würzen. Konsistenz. Verfeinern. Improvisieren. Zutaten. Ausrüstung. 

Ausrüstung! 

Gott, was habe ich damals alles gekauft. Eine wahre Materialschlacht. Das Aufrüsten zur Küchen-Supermacht. 

Um daraus resultierend zu verstehen. Dass es nicht einfacher wird. Es nicht zwingend einfacher wird, wenn dir etwas die Arbeit abnimmt. Eine wichtige Erkenntnis. 

Also reduzierte ich auf das Nötigste. Lernte. 

Lernte, mich auf mich selber zu verlassen. Lernte, dass Schweiß und Mühe oft so viel besser sind. Besser, als all diese luxuriösen Helfer. 

Denn ich wusste plötzlich einiges mehr. Allem voran eines. Ich kann mich auf meine Fähigkeiten verlassen. Auf mein Talent zu improvisieren. 

 

 

 

Vor gut fünf Jahren habe ich folgendes Zitat in einem Text über Glück geschrieben:

 

„Es war wie beim Kochen. Alle Zutaten lagen vor mir und doch konnte ich daraus kein Essen kochen, was mir annähernd schmeckte.“

 

 

 

Damals beschrieb ich damit mein Leben. Meinen Zustand der Verzweiflung und der Depression. Den verlorenen Überblick. Den Mangel an Selbstreflexion. Konzentration. 

Damals. 

Heute. 

Das gleiche Zitat. Eine andere Betrachtungsweise. 

 

Ich fühle mich wirklich noch ab und an so. Unfähig das vor mir liegende zu etwas Sinnvollem zu verarbeiten. All diese Zutaten…

 

Familie. 

Freunde. 

Liebe. 

Job. 

Freizeit. 

Wohnung. 

Fotografie. 

Schreiben. 

Musik. 

Geld. 

Verpflichtungen. 

 

Manchmal verzweifele ich regelrecht daran. Lasse mich von der Traurigkeit umarmen. In diesen Momenten der Verzweiflung. 

 

Dabei habe ich es mir so oft gewünscht. Es hinzubekommen. So, wie es meine Ma geschafft hat. 

Spielerisch. So perfekt. 

Ich habe mir so sehr ihren Zauber gewünscht. Ihr Kochbuch. 

Dieses dicke, prall gefüllte Werk der Rezepte und des Wissens. 

 

 

40 Jahre.

 

 

Fast exakt so lange existiere ich nun schon. Fast so lange hat es gedauert etwas Grundlegendes zu begreifen. 

 

Dieser Zauber. Es war keiner. Denn die Wahrheit ist doch eher simpler Natur. 

 

Das, was ich als so perfekt angesehen habe. Das, was ich so bewundert habe. Das, was mir jahrelang solch einen Respekt eingeflößt hat. 

All das. All das gab es nie. Nicht so. Nicht so, wie ich es wahrgenommen habe. 

 

Meine Ma hat wirklich gezaubert. Sie hat uns großgezogen. Erzogen. Eine wunderbare Saat gepflanzt, die uns bis heute wachsen lässt. Mich wachsen lässt. 

 

Vor allem anderen hat sie aber aber hauptsächlich eines getan. 

Sie hat improvisiert. Ausprobiert. Gelernt. Verworfen. Neues versucht. 

Das gilt für unsere Kindheit. Das gilt für das Essen. 

 

Es hat mich fast 40 Jahre gekostet. Zu verstehen. Es im Ansatz zu verstehen. 

 

Es gibt kein Richtig. Kein perfektes Rezept. Kein Kochbuch, in dem der exakte Weg steht. 

Alles was dort steht. In ihrem Kochbuch. All das ist nur ein Grundgerüst. Etwas, das es erleichtert. 

Ob es gelingt, das liegt jedoch nicht an ihm. Das liegt an mir. 

 

Das Rezept ist eine grobe Richtung. Für Jeden. Aber. 

Um meinen persönlichen Geschmack zu treffen. Dafür muss ich es auf mich abstimmen. Mit Erfahrung. Resultierend aus einem gelebten Leben. Aus meinem gelebten Leben. 

Denn außer mir weiß es niemand. Wirklich niemand. Niemand weiß, wie ich leben sollte. Wie all das schmecken soll. 

 

An mir ist es, ein leckeres Gericht zu kochen. Für mich. Für meine Familie. Für meine Freunde. 

 

An mir ist es zu akzeptieren. Zu akzeptieren, dass das nicht jeden Tag gelingen wird. 

An mir ist es zu verstehen. Zu verstehen, dass mir das niemand übel nimmt. Niemand von Relevanz. 

 

Ich bin nicht perfekt. Nicht einmal perfekt unperfekt. Das war auch nie mein Anspruch. 

 

 

 

Mein einziges Ziel war es immer nur, halbwegs glücklich zu sein. Das  ist ein erträgliches Maß an Glück.

Sonst verwirrt das doch nur die Sinne. Oft gelingt mir das auch.

Manchmal jedoch…

 

 

 

 

Ihr findet mich in der Küche...